5 unterschätzte Herausforderungen in der Sozialarbeit mit Geflüchteten – und wie man ihnen begegnet

Warum die sozialen Herausforderungen in der Flüchtlingsarbeit oft tiefer liegen als gedacht 🧭
Die Sozialarbeit mit Geflüchteten ist ein hochkomplexes Handlungsfeld – geprägt von rechtlichen Vorgaben, sprachlichen Barrieren, kulturellen Unterschieden und individueller Traumatisierung. Doch neben den sichtbaren Schwierigkeiten gibt es zahlreiche unsichtbare, unterschätzte Herausforderungen, mit denen Sozialarbeiter:innen tagtäglich konfrontiert sind. Sie erfordern mehr als Fachwissen: nämlich emotionale Belastbarkeit, interkulturelle Kompetenz, strukturelle Klarheit – und oft ein großes Maß an Geduld. In diesem Artikel beleuchten wir fünf dieser oft übersehenen Belastungsfaktoren und zeigen auf, wie ihnen professionell und menschlich zugleich begegnet werden kann.

Bürokratie als Beziehungskiller 📑

Die Herausforderung:
Kaum ein Bereich in der Sozialarbeit ist so stark durch Vorschriften, Fristen und Formulare geprägt wie die Arbeit mit Geflüchteten. Asylverfahren, Leistungen nach AsylbLG, Wohnsitzauflagen, Duldungen – das komplexe System überfordert nicht nur Klient:innen, sondern auch Fachkräfte. Zwischen Anhörungsvorbereitung, Leistungskürzungen und Dokumentenbeschaffung bleibt oft wenig Raum für Beziehungsarbeit.

Was hilft:
– Schulungen zu rechtlichen Grundlagen & Veränderungen im Asylrecht
– Enge Kooperation mit Migrationsberatung, Rechtsanwält:innen, Behörden
– Infomaterialien in einfacher Sprache & Dolmetscher:innen gezielt einsetzen
– Digitale Tools zur Fallverwaltung und Fristenkontrolle nutzen

💡 Merke: Soziale Arbeit darf nicht zum reinen Behördenassistenten verkommen – der Mensch muss im Mittelpunkt bleiben.

Sprachlosigkeit auf mehreren Ebenen 🗣️

Die Herausforderung:
Sprache ist mehr als Kommunikation – sie ist Zugang zu Teilhabe, Beziehung und Selbstwirksamkeit. Viele Geflüchtete sprechen (noch) kein Deutsch, professionelle Dolmetscher:innen sind rar, informelle Helfer:innen überfordert oder parteiisch. Dazu kommen kulturelle Missverständnisse, Tabus oder ein fehlendes Vokabular für emotionale Themen.

Was hilft:
– Einsatz qualifizierter Sprachmittler:innen – idealerweise mit Schulung in Trauma- und Sozialarbeit
– Förderung nonverbaler Methoden: Zeichnen, Piktogramme, Körpersprache
– Geduldige Kommunikation in einfacher Sprache, bewusstes Nachfragen
– Schulungen in kultursensibler Gesprächsführung für das gesamte Team

💡 Merke: Sprachbarrieren zu überbrücken heißt nicht nur zu übersetzen – sondern Verstehen auf Augenhöhe zu ermöglichen.

Unsichtbare Traumatisierungen & ihre Folgen 🧠

Die Herausforderung:
Viele Geflüchtete haben traumatische Erfahrungen gemacht – Krieg, Folter, sexualisierte Gewalt, Flucht über das Mittelmeer. Diese Erlebnisse wirken nach, oft auch ohne sichtbare Symptome. Ohne traumasensibles Wissen riskieren Fachkräfte, Überforderungen zu übersehen, Fehlverhalten fehlzuinterpretieren oder ungewollt retraumatisierend zu handeln.

Was hilft:
– Fortbildungen zur Traumapädagogik und traumasensiblen Haltung
– Aufbau von Kooperationsstrukturen mit psychosozialen Zentren und Therapeut:innen
– Nutzung stabilisierender Methoden im Alltag (z. B. Routinen, Ressourcenarbeit)
– Selbstschutz durch Supervision, Teamreflexion und kollegialen Austausch

💡 Merke: Nicht jede Wunde ist sichtbar – doch jede Begegnung kann stabilisierend oder destabilisierend wirken.

Grenzen der eigenen Wirksamkeit erkennen 🛑

Die Herausforderung:
Sozialarbeiter:innen sind oft erste und einzige Ansprechpersonen für komplexe Problemlagen: Wohnungslosigkeit, psychische Erkrankung, Gewalt, Perspektivlosigkeit. Der Wunsch zu helfen trifft jedoch auf strukturelle Grenzen – fehlende Therapieplätze, Wohnungsmangel, Arbeitsverbote, keine Lösungen. Das kann zu Frustration, Ohnmacht oder Burnout führen.

Was hilft:
– Klarheit über Rolle und Zuständigkeit (Beratung ≠ Verantwortung für Lösung)
– Entwicklung realistischer Ziele im Rahmen der Möglichkeiten
– Eigene Selbstfürsorge etablieren: Pausen, Abgrenzung, Supervision
– Offene Kommunikation über Grenzen mit Klient:innen – ehrlich, wertschätzend, professionell

💡 Merke: Helfen endet nicht, wenn man nicht alles lösen kann – sondern beginnt beim authentischen Dasein und Begleiten.

Fehlende politische Rückendeckung & prekäre Strukturen 🏛️

Die Herausforderung:
Viele Stellen in der Flüchtlingssozialarbeit sind projektfinanziert, befristet oder unsicher, obwohl die Aufgaben langfristig bestehen bleiben. Das wirkt sich auf Personalbindung, Fachkräftezufriedenheit und die Qualität der Begleitung aus. Gleichzeitig fehlt es oft an politischer Anerkennung für die gesellschaftlich wichtige Rolle der Sozialarbeit im Migrationsbereich.

Was hilft:
– Politische Interessenvertretung durch Träger, Fachverbände & Netzwerke stärken
– Beteiligung an kommunalen Strukturen (z. B. Integrationsräten, Runden Tischen)
– Dokumentation von Erfolgen & Herausforderungen für politische Entscheidungsträger
– Eigenes Team stabilisieren: klare Zuständigkeiten, faire Arbeitsbedingungen, Wertschätzungskultur

💡 Merke: Gute Sozialarbeit braucht nicht nur Haltung – sondern auch strukturelle und politische Sicherheit.

Sozialarbeit mit Geflüchteten ist herausfordernd – und unverzichtbar 💬

Die Sozialarbeit mit Geflüchteten ist weit mehr als bloße Unterstützung im Alltag – sie ist Beziehungsarbeit, Orientierungsarbeit, Stabilisierung in Systemen, die oft überfordern. Die größten Herausforderungen sind oft nicht sichtbar, aber tiefgreifend: Sprachlosigkeit, Unsicherheit, systemische Engpässe. Wer diesen begegnen will, braucht Wissen, Haltung, Netzwerke – und politisch gewollte Strukturen.

✔ Fünf Herausforderungen, die im Alltag oft unterschätzt werden
✔ Konkrete Lösungsansätze für Fachkräfte und Träger
✔ Fokus auf Selbstschutz, Professionalität und strukturelle Verbesserung
✔ Ein Plädoyer für langfristige, verlässliche, traumasensible Sozialarbeit

Matthias Böhm
Matthias Böhm
Matthias engagiert sich in der sozialen Integration, unterstützt Menschen in schwierigen Situationen und fördert das Verständnis zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Sein Ansatz ist einfühlsam und zielgerichtet, wobei er besonders darauf achtet, Menschen zu motivieren und ihre Stärken zu fördern.

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