Tabuthemen in der Asylarbeit Sexualisierte Gewalt, Zwangsheirat & Co. erkennen und handeln

Wenn Hilfe nicht anspricht, weil niemand hinhört 🧕🧠

In der Asylarbeit geht es nicht nur um Unterbringung, Sozialberatung und Teilhabe – sondern auch um extreme Erfahrungen, die geflüchtete Menschen oft mit sich tragen. Dazu gehören Themen, über die kaum gesprochen wird: sexualisierte Gewalt, Genitalverstümmelung, Zwangsheirat, häusliche Gewalt oder queere Identität in feindlichen Kontexten. Diese Tabuthemen bleiben oft unsichtbar – aus Angst, Scham, kulturellem Druck oder fehlender Sprache. Umso wichtiger ist, dass Fachkräfte sie erkennen, ansprechen und dabei kultursensibel und professionell handeln. Denn wer schweigt, schützt nicht – sondern lässt Menschen allein.

Was sind Tabuthemen in der Asylarbeit? ✅

ThemaWarum es tabuisiert wird
Sexualisierte GewaltScham, Schuldgefühle, Angst vor Stigmatisierung oder Unglauben
Zwangsheirat / FrühehenKulturelle Normalisierung, Loyalitätskonflikte, familiärer Druck
Genitalverstümmelung (FGM/C)Tief verankerte Traditionen, Angst vor Ausgrenzung, fehlende Aufklärung
Häusliche Gewalt / Gewalt gegen FrauenRollenbilder, Abhängigkeit vom Partner, Sprachlosigkeit
Queere IdentitätAngst vor Gewalt, Diskriminierung in der eigenen Community
Gewalt gegen KinderTabuisierung familiärer Probleme, kulturelle Erziehungsmuster

💡 Wichtig: Die Tabuisierung kommt nicht nur aus der Herkunftskultur – auch unsere Aufnahmestrukturen vermeiden oft bewusst oder unbewusst das Ansprechen dieser Themen.

Warum über Tabus zu schweigen gefährlich ist ⚠️

Tabuthemen bleiben nicht folgenlos – im Gegenteil: Wer nicht spricht oder nicht gehört wird, bleibt allein mit Schmerz, Angst und Ohnmacht. Das hat psychische, physische und soziale Konsequenzen.

Mögliche Folgen des Schweigens:
– Chronifizierung von Traumafolgen (z. B. PTBS, Depression)
– Re-Traumatisierung durch Alltagssituationen oder Unterbringung
– Gewaltspiralen (z. B. Fortsetzung von Zwangsheirat oder Missbrauch)
– Rückzug, Isolation, Verlust von Vertrauen in Hilfssysteme
– Verfestigung patriarchaler oder gewaltvoller Strukturen

💡 Vermeidung schützt nicht – sondern fördert Machtlosigkeit. Nur wer Themen anspricht, kann Betroffenen tatsächlich helfen.

Wie Fachkräfte Tabuthemen erkennen können 🔍

Viele betroffene Personen sprechen nicht von sich aus über das, was sie erlebt haben oder erleben. Umso wichtiger ist eine achtsame Beobachtung, Sensibilität und Beziehungsebene.

Signal im AlltagMöglicher Hinweis auf ein Tabuthema
Rückzug von GruppenangebotenScham, Angst, kulturelle Kontrollmechanismen
Häufige somatische BeschwerdenUnverarbeitete psychische Belastungen nach Gewalt oder Zwang
Schweigen bei bestimmten ThemenAngst vor Sanktionierung oder Stigmatisierung
Unterwürfiges oder überangepasstes VerhaltenGeringes Selbstwertgefühl nach erlebter Gewalt
Übergriffigkeit gegenüber anderenKompensation eigener Gewalt- oder Machterfahrungen

💡 Tipp: Nicht drängen – aber Vertrauen durch Beziehung und Kontinuität ermöglichen.

Was Betroffene brauchen – Sicherheit, Sprache und Schutzräume 🛡️

Tabuthemen anzusprechen erfordert Mut – und das Wissen, dass ein sicherer Raum da ist. Fachkräfte können diesen Rahmen aktiv mitgestalten:

BedarfMögliche Maßnahme
VertraulichkeitKlare Kommunikation zu Schweigepflicht und Schutzkonzepten
Geschlechtsspezifische UnterstützungEinsatz weiblicher Fachkräfte, frauenspezifische Angebote
Kultursensible DolmetschungGeschulte Sprachmittler:innen, keine Familienangehörigen als Übersetzer
Aufklärung & InformationWorkshops, Flyer, Einzelgespräche – mehrsprachig, visuell unterstützt
Zugang zu spezialisierten StellenKooperation mit Frauenschutzhäusern, FGM-Beratungen, queeren Netzwerken

💡 Betroffene müssen wissen: Du bist nicht allein. Und du darfst reden.

Handlungssicherheit für Fachkräfte – sensibel, aber klar handeln 💬

Haltung & HandlungWarum sie wichtig ist
Sensibel ansprechen, aber nicht vermeidenViele Betroffene brauchen Ermutigung, nicht nur „offene Ohren“
Nicht schockiert oder wertend reagierenSchafft Sicherheit und Offenheit im Gespräch
Ressourcenorientiert begleitenNicht Opferrolle betonen, sondern Stärke und Handlungsspielraum fördern
Grenzen und Zuständigkeiten klärenNicht therapieren, sondern weitervermitteln und absichern
Dokumentieren und Schutz einleitenBei Verdacht auf akute Gefährdung: klare Verfahren gemäß Kinderschutz/Gewaltschutzgesetz

💡 Klares Handeln ist keine Kälte – sondern ein Zeichen von Verantwortung und Professionalität.

Was Einrichtungen und Träger tun können – Schutz konsequent mitdenken 🏢

Ein systematischer Umgang mit Tabuthemen erfordert mehr als individuelles Engagement. Träger, Kommunen und Einrichtungen müssen strukturell ermöglichen, dass Tabus gebrochen werden dürfen – ohne Angst, ohne Risiko, mit echtem Schutz.

Strukturelle MaßnahmeAuswirkung auf Sicherheit & Sichtbarkeit
Einrichtung eines Schutzkonzepts inkl. TabuthemenVerbindliche Regeln, klare Zuständigkeiten, definierte Abläufe
Schulung aller Mitarbeitenden zu Gewalt, Sexualität, KulturHandlungssicherheit & Empathie statt Unsicherheit oder Vermeidung
Klare Kooperation mit spezialisierten HilfenNetzwerke nutzbar machen, Sicherheit nach der Offenbarung ermöglichen
Bereitstellung geschützter Räume & SprechzeitenGesprächsatmosphäre ohne Öffentlichkeit oder männliche Dominanz
Interne Ansprechpersonen für sensible ThemenKlare, vertrauenswürdige Kontaktstellen für Betroffene und Fachkräfte

💡 Tabuthemen brauchen Schutz – und Strukturen, die nicht weghören, sondern tragen.

Schweigen ist kein Schutz – Zuhören ist der erste Schritt 💭

Tabuthemen wie sexualisierte Gewalt, Zwangsheirat oder queere Identität in feindlichen Strukturen gehören zur Realität vieler Geflüchteter. Wer sie nicht sieht, riskiert, dass Betroffene allein bleiben – mit Angst, Schmerz und Unsicherheit. Die Aufgabe von Sozialarbeit, Unterkünften und Politik ist es, hinzusehen, Raum zu geben und Schutz konsequent umzusetzen. Tabus zu brechen heißt nicht, zu verurteilen – sondern Verantwortung zu übernehmen für eine menschenwürdige, sichere und gerechte Asylarbeit.

✔ Tabuthemen sind Realität – und brauchen eine offene, sensible Ansprache
✔ Fachkräfte benötigen Schulung, Strukturen und sichere Kommunikationswege
✔ Betroffene brauchen Schutz, Aufklärung und das Gefühl: „Ich darf reden“
✔ Einrichtungen müssen Verantwortung übernehmen – und Räume für Vertrauen schaffen

Matthias Böhm
Matthias Böhm
Matthias engagiert sich in der sozialen Integration, unterstützt Menschen in schwierigen Situationen und fördert das Verständnis zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Sein Ansatz ist einfühlsam und zielgerichtet, wobei er besonders darauf achtet, Menschen zu motivieren und ihre Stärken zu fördern.

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