Umgang mit retraumatisierten Geflüchteten 🧠🌍

Wenn Wunden nicht sichtbar sind – psychische Gesundheit im Fokus

Geflüchtete Menschen bringen nicht nur ihre Geschichten, sondern oft auch tiefgreifende psychische Belastungen mit. Krieg, Flucht, Verlust, Gewalt – viele Erfahrungen hinterlassen tiefe Spuren. Besonders problematisch: Eine scheinbar stabile Situation kann durch bestimmte Reize oder Alltagssituationen unbewusst eine frühere traumatische Erfahrung reaktivieren. Man spricht dann von Retraumatisierung.

Für Fachkräfte in Unterkünften, Beratungsstellen, Sozialdiensten oder ehrenamtlichen Initiativen ist es essenziell, diese Dynamiken zu verstehen und angemessen zu handeln. Dieser Artikel zeigt dir, wie du retraumatisierten Geflüchteten sensibel begegnest, welche Signale wichtig sind und welche Handlungsmöglichkeiten sich im Alltag bewährt haben.

Was ist Retraumatisierung? 🔄🧠

Wenn das Vergangene plötzlich wieder präsent wird

Retraumatisierung bezeichnet das Wiedererleben eines vergangenen Traumas durch äußere oder innere Auslöser (Trigger). Diese Reaktivierung geschieht häufig unbewusst und kann zu starken emotionalen und körperlichen Reaktionen führen.

Typische Auslöser (Trigger) können sein:

ReizBeispiel
GeräuscheSirenen, laute Stimmen, Schüsse
OrteBehördenräume, Sammelunterkünfte
KörperkontaktPlötzliche Berührungen, Nähe
SpracheDominante Tonlage, bestimmte Wörter
VerhaltenKontrolle, Missachtung von Grenzen

💡 Wichtig: Retraumatisierungen können auch durch gut gemeinte Handlungen ausgelöst werden – z. B. durch übergriffiges Helfen, mangelnde Privatsphäre oder standardisierte Abläufe.

Symptome erkennen – Warnsignale für Fachkräfte 🧩🚨

Nicht jede Rückzugsreaktion ist gleich ein Trauma. Doch bestimmte Verhaltensweisen können auf eine Retraumatisierung hinweisen.

Mögliche Anzeichen:

  • 🌫️ Plötzliche Abwesenheit (Dissoziation, „Wegtreten“)

  • 😰 Panik, starke Unruhe oder übermäßige Wachsamkeit

  • 🤐 Sprachlosigkeit oder Verweigerung von Kommunikation

  • 💤 Rückzug, Antriebslosigkeit, Schlafprobleme

  • 🧃 Vermehrter Konsum von Alkohol, Zigaretten o. Ä.

  • 🧨 Aggressive oder selbstverletzende Verhaltensweisen

Hinweis:

Viele Betroffene zeigen sich nach außen “funktional”, obwohl sie innerlich stark belastet sind. Empathie, Achtsamkeit und Kontinuität sind entscheidende Schlüssel im Umgang.

Handlungsansätze für den Alltag 🧰💡

Traumasensibles Handeln – konkret und machbar

Fachkräfte und Helfende müssen keine Therapeut:innen sein. Aber sie können viel dazu beitragen, dass sich betroffene Menschen sicherer fühlen und sich nicht erneut retraumatisiert fühlen.

🛑 Grundprinzip: Sicherheit – Transparenz – Selbstbestimmung

AnsatzHandlung
📣 KommunikationRuhig, klar, wertschätzend – keine Fachsprache
🚪 RückzugsmöglichkeitenRückzugsorte anbieten, Privatsphäre respektieren
⏳ Zeit lassenKein Drängen bei Gesprächen oder Entscheidungen
🧭 Orientierung gebenAbläufe erklären, Unsicherheiten reduzieren
💬 Sprache achtenKeine Konfrontation mit dem Trauma ohne ausdrückliches Einverständnis
👐 Körperkontakt vermeidenNur nach Einwilligung, keine Berührungen aus Reflex

💡 Achte auf deine eigene Haltung: Offenheit, Geduld und ein wohlwollendes Menschenbild wirken oft heilsamer als viele Worte.

Traumasensible Strukturen schaffen 🏠🔐

Organisationen können retraumatisierten Menschen Halt geben

Neben der Einzelbegegnung braucht es auch strukturelle Anpassungen in Einrichtungen und Teams.

🛠️ Maßnahmen auf organisatorischer Ebene:

  • 📘 Schulungen zum Thema Trauma & Retraumatisierung für alle Mitarbeitenden

  • 🛏️ Gestaltung sicherer, übersichtlicher und ruhiger Räume

  • 🧍 Ansprechpersonen oder Vertrauenspersonen für sensible Themen

  • 📅 Stabile Tagesstrukturen und Abläufe schaffen

  • 🛑 Trigger-Vermeidung bei Verfahren, z. B. bei Anhörungen, Ausweiskontrollen etc.

  • 📣 Traumazentrierte Supervision oder externe Fachberatung regelmäßig einholen

💡 Tipp: Verwende traumasensible Sprache auch in Formularen oder Aushängen („Sie dürfen jederzeit Nein sagen.“ / „Sie entscheiden, was Sie mitteilen möchten.“)

Selbstfürsorge für Fachkräfte – auch du brauchst Schutz 🧘‍♀️💬

Retraumatisierte Menschen begleiten bedeutet emotionale Arbeit

Der Kontakt mit belasteten Menschen kann auch Helfende stark fordern. Um langfristig wirksam und gesund zu bleiben, ist Selbstfürsorge kein Luxus, sondern Voraussetzung.

✅ Empfehlungen:

  • Austausch im Team: Fallbesprechungen & Peer-Support

  • Eigene Belastung ernst nehmen – Grenzen setzen

  • Zeit für Pausen, Bewegung, Ausgleich schaffen

  • Professionelle Unterstützung bei Sekundärtraumatisierung suchen

💡 Nur wer selbst stabil ist, kann auch für andere stabil da sein. Denk an dich.

Trauma anerkennen – Menschen stärken

Der Umgang mit retraumatisierten Geflüchteten erfordert mehr als Mitgefühl – er braucht Wissen, Haltung und Handlungskompetenz. Doch jede kleine Geste der Achtsamkeit kann helfen, Vertrauen zurückzugeben. Sichere Räume, klare Kommunikation und Selbstbestimmung bilden die Basis für echte Unterstützung.

Ob in der Gemeinschaftsunterkunft, in Beratungsstellen oder im ehrenamtlichen Engagement – wer Menschen mit Fluchterfahrung professionell und traumasensibel begleitet, leistet einen unschätzbaren Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe und psychischen Gesundheit.

Matthias Böhm
Matthias Böhm
Matthias engagiert sich in der sozialen Integration, unterstützt Menschen in schwierigen Situationen und fördert das Verständnis zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Sein Ansatz ist einfühlsam und zielgerichtet, wobei er besonders darauf achtet, Menschen zu motivieren und ihre Stärken zu fördern.

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